Tagung "Wie kann die Integration behinderter
Personen gefördert werden?", Münsingen (Schweiz), 1998
Schulische Integration in Österreich
Volker Rutte
Ich bin seit über 30 Jahren Sonderpädagoge. Derzeit
und schon seit einigen Jahren bin ich der wissenschaftliche Begleiter
der schulischen Integration für Steiermark. Den Großteil meiner Zeit
habe ich in einer Psychiatrie verbracht, dienstlich wie ich ergänzen
darf. Ich habe mit geistig behinderten und verhaltensauffälligen
Kindern und Jugendlichen gearbeitet und es war nicht zuletzt diese
Situation einer Anstalt, die mich über meine berufliche Effektivität
hat nachdenken lassen und die mir erst die politische Dimension meiner
Tätigkeit mit behinderten Menschen bewußt gemacht hat.
Schon in den frühen Achtzigerjahren habe ich mich,
wie nicht wenige Sonderpädagogen, einer Art Bürgerrechtsbewegung
angeschlossen. Sie hieß "Initiative Soziale Integration". Es
waren in erster Linie Eltern dabei, die für ihre behinderten Kinder
eine möglichst normale Umgebung wünschten und dafür zu kämpfen
entschlossen waren. Aber es waren eben auch Sonderpädagogen darunter,
etwa 1/3, die erstens mit dem Sonderschulwesen und der Kluft zwischen
Anspruch und Realität unzufrieden waren und zweitens ohne
gesellschaftliche Integration nach der Schulzeit ihre ganze Arbeit
vergeblich fanden. Das war für manche Kollegen eine Provokation. Je
nach Temperament wurden die Integrationsbefürworter als Nestbeschmutzer
oder als Utopisten bezeichnet.
1. Entwicklung
Wie auch immer, diese Initiative Soziale Integration
entwickelte ein Schulversuchsmodell, das die Ehre hatte, teilweise
wörtlich in die Modellbeschreibung des Unterrichtsministeriums
übernommen zu werden, sie betrieb Öffentlichkeitsarbeit und suchte
eine erste willige Schule.
Der Beginn der sozialintegrativen Schulversuche ist
in Österreich mit 1984/85 anzusetzen. Die erste Integrationsklasse gab
es in Oberwart (im Burgenland an der ungarischen Grenze), im nächsten
Jahr folgten Kalsdorf (in der Steiermark) und Weissenbach (in Tirol).
Diese und weitere Schulversuche stießen teilweise auf heftige Ablehnung
der Schulbehörde, aber es waren vollendete Tatsachen geschaffen worden.
Es ist, meines Erachtens, sehr interessant, die diesbezüglichen
Dokumentationen, die ja auch für Deutschland erschienen sind, zu lesen.
Erstens spiegeln sie schmerzlich eine Eigenschaft unseres Schulwesens
und zweitens machen sie die Hintergründe für eine teilweise sehr
aggressiv geführte Auseinandersetzung verständlich.
In unterschiedlichem Ausmaß entstanden nun in den
österreichischen Bundesländern Initiativgruppen, die sich sowohl um
politische Durchsetzung, als auch um pädagogisch-inhaltliche Fragen
bemühten. Das Unterrichtsministerium richtete zwei Arbeitskreise ein
und die Schulreformkommission befaßte sich mit dem Thema. Im Jahre 1989
erschien ein Rahmenplan für die Schulversuche. Darin wurden folgende
Modelle unterschieden:
-
Die Integrative Klasse: In einer Klasse von etwa
20 Kindern, davon etwa 4 mit sonderpädagogischem Förderbedarf,
unterrichten ein(e) Regel- und ein(e) Sonderschullehrer(in) in allen
Stunden.
-
Klasse mit Stützlehrer: In einer Regelklasse
werden 1 oder 2 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf
unterrichtet, wofür zusätzlich ein(e) Sonderschullehrer(in) für eine
gewisse Stundenzahl eingesetzt ist.
-
Kooperative Klasse: Eine Regelklasse und eine
Sonderklasse werden zeitweise gemeinsam unterrichtet, meist in den
Fächern mit geringeren kognitiven Anforderungen.
Ein österreichisches Kuriosum war (4.) die
sogenannte Förderklasse: Eine Sonderklasse für lernbehinderte Kinder
wurde nach dem Lehrplan der Regelschule unterrichtet, wobei für die
Erreichung der Lernziele ein längerer Zeitraum vorgesehen war.
Geistigbehinderte Kinder waren ausgeschlossen und überhaupt fehlten die
für den Anspruch auf soziale Integration nötigen nichtbehinderten
Kinder.
Die Evaluation dieser Schulversuche im
Elementarbereich ließ das Modell "Integrative Klasse" in
allen gemessenen Bereichen als das erfolgreichste hervorgehen. Ferner
hat sich auch das Modell "Klasse mit Stützlehrer"
durchgesetzt, das bei allen Nachteilen im ländlichen Raum unverzichtbar
ist.
Die Kooperationsklasse schnitt vergleichsweise
schlecht ab. Wenn man vom Modell her schon zu Segregation eingeladen
wird, geht der Prozeß auch in diese Richtung. Aber es wird von der
Schulbehörde geliebt, von der es ja auch erfunden worden war,
möglicherweise, weil es eine Veränderung der traditionellen Schule
kaum nötig macht.
Die letzten beiden Modelle wurden, trotz teilweise
bedenklicher Erfahrungen und vermutlich nicht aus pädagogischen
Gründen, ebenfalls in das resultierende Angebot für die
Regelschulintegration aufgenommen. Evaluation ist ein Mäntelchen, das
ein Thema argumentativ kleiden will, das dann auf einer anderen Schiene
entschieden wird. Man kann mit ihr nichts vermeiden, durchsetzen oder
beeinflussen.
Unterrichtsminister Rudolf Scholten erklärte am
11.6.1992 vor der Schulreformkommission: "In Abkehr von der
bisher verfolgten Zielsetzung, in gesonderten Bildungseinrichtungen die
bestmögliche Schule für behinderte Kinder zu entwickeln, sieht das
Unterrichtsministerium die Entwicklung einer Schule unter Einschluß
aller Kinder als zentrale Notwendigkeit zur Wahrung des Wohles
behinderter wie nichtbehinderter Kinder."
1993 wurde die 15. Novelle der Schulgesetze
verabschiedet und sie beinhaltete folgenden "Zielparagraphen":
"Die Volksschule hat in den ersten vier Schulstufen
(Grundschule) eine für alle Schüler gemeinsame Elementarbildung unter
Berücksichtigung einer sozialen Integration behinderter Kinder zu
vermitteln."
Die Evaluation der Schulversuche im Bereich der
Sekundarstufe I zeigte sodann aphoristisch Problemzonen auf
(Leistungsbeurteilung, Fächerkanon, Binnendifferenzierung, Soziales
Lernen u.a.), denen bei der Übernahme in das Regelschulwesen legistisch
nicht entgegengewirkt wurde. Die zieldifferente Integration in
Hauptschule und Gymnasium provozierte gewaltigen bildungspolitischen
Widerstand, ein politischer Konsens für eine unterstützendere
Gesetzgebung war offensichtlich nicht möglich. Nach einer
Regierungsumbildung mit Ressortwechsel wurde 1996 die 17. Novelle mit
den Bestimmungen für die Sekundarstufe I verabschiedet.
2. Gesetzliche Grundlagen
Seit Novellierung der Schulgesetze (1993 und 1996)
besteht in Österreich die Möglichkeit des gemeinsamen Unterrichts von
behinderten und nichtbehinderten Kindern. Die Gesetze werden 2001/02
gesamten Pflichtschulbereich betreffen, die Schulversuche laufen aus.
Schulpflichtige Kinder mit SPF sind berechtigt, die
Schulpflicht entweder in einer Sonderklasse oder einer Regelklasse
(Volksschule, Hauptschule, Unterstufe des Gymnasiums) zu erfüllen,
soweit geeignete Schulen vorhanden sind und der Schulweg den Kindern
zumutbar ist. Besteht keine geeignete Schule, so hat die Schulbehörde
Maßnahmen zur Ermöglichung des gewünschten Schulbesuches zu
ergreifen.
Sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) hat ein
Kind, das infolge einer physischen oder psychischen Behinderung dem
Unterricht der Regelschule ohne sonderpädagogische Förderung nicht zu
folgen vermag.
Die Klassenschülerzahl darf 30 nicht übersteigen
und darf in der Primarstufe 10, bzw. soll in der Sekundarstufe 20 nicht
unterschreiten. Die Anzahl der Kinder mit sonderpädagogischem
Förderbedarf ist von Art und Ausmaß der Behinderung abhängig. Die
Ausführungsgesetze der einzelnen Bundesländer machen zu diesen
Vorgaben des Bundes unterschiedliche nähere Angaben.
Für Kinder mit SPF kann in der Primarstufe ein
entsprechend ausgebildeter Lehrer zusätzlich eingesetzt werden, bzw.
ist in der Sekundarstufe einzusetzen. Als "entsprechend
ausgebildet" gilt ein(e) Sonderschullehrer(in), aber auch ein(e)
Lehrer(in) mit Zusatzausbildung.
Kinder mit SPF werden nach Lehrplan der Regelschule
unterrichtet, soweit das keine Überforderung bedeutet, andernfalls nach
dem Lehrplan der Sonderschule. Der Bezirksschulrat (d.i. die
Schulaufsichtsbehörde 1. Instanz) entscheidet, ob und in welchem
Ausmaß der Schüler nach einem Sonderschullehrplan zu unterrichten ist.
Die Schulkonferenz entscheidet, ob der Schüler, gänzlich oder in
einzelnen Gegenständen, nach dem Lehrplan einer niedrigeren Schulstufe
unterrichtet wird.
Sonderpädagogische Zentren sind Sonderschulen, die
die Aufgabe haben, durch Bereitstellung und Koordination
sonderpädagogischer Maßnahmen in anderen Schularten zur Integration
beizutragen.
Am Entwicklungsprozeß der schulischen Integration
waren Personen und Einrichtungen mit unterschiedlichen Interessen und
Funktionen beteiligt, deren Problematik im folgenden beleuchtet werden
soll:
3. Sicht behinderter Kinder und ihrer
Erziehungsberechtigten
Die Eltern haben viel erreicht. Der
Unterrichtsminister bekam damals den Vorwurf "vor ihnen in die Knie
gegangen zu sein", was er in seiner parlamentarischen Replik als
"auf die Knie" modifizierte und den Beitrag der Eltern
besonders würdigte.

Die Eltern behinderter Kinder wollen für ihre Kinder
ein normales Aufwachsen in der Heimatgemeinde. Sie wollen die
Stigmatisierungseffekte einer gesonderten Erziehung vermeiden. Sie
wollen das Vorbild und die Motivationskraft der nichtbehinderten
Klassenkameraden.
Und sie berufen sich dabei auf ein moralisches Recht
auf Nichtaussonderung und auf Menschenrechte, Antidiskriminierung,
Menschenwürde, Elternrecht, Recht auf Wahl der Erziehung, Demokratie.
Nicht mehr Dankbarkeit wurde gezeigt, daß man die
"Tschapperln nicht mehr umbringt", sondern Forderungen nach
Recht wurden gestellt. Diese Avantgarde von Eltern war emanzipiert und
kaum jemand wagte ihr zu widersprechen angesichts dieser Argumente -
außer der Schule vielleicht, die mancherorts feststellte, daß solche
Kinder in der Sonderschule besser gefördert werden könnten. Aber auch
das ließen die Eltern nicht gelten. Es gehe in erster Linie um die
Integration behinderter Menschen in die Gesellschaft. Die Schule sei die
einzige Zeit der Begegnung aller Staatsbürger. Man müsse diese neun
Jahre nützen. Die Berührungsängste gegenüber behinderten Menschen
resultierten im Wunsch nach Aussonderung, die Aussonderung resultiere in
Berührungsängsten - ein Circulus vitiosus, der durchbrochen werden
müsse.
Viel ist erreicht worden, aber noch gibt es
Schwierigkeiten genug. Die Gesetzgebung setzt wohlwollend-korrekte
Schulbehörden und emanzipierte, konfliktwillige Eltern voraus. Das
starke Anwachsen integrativer Klassen erfolgte durch die individuellen
Bemühungen von Eltern behinderter Kinder. Sie haben aber gelegentlich
nur die Wahl zwischen einer lehrerzentrierten, stoffzentrierten und
selektierenden Pädagogik in der integrativen Regelschule und einer
Sonderschule.
Unterstützung gibt es durch Initiativgruppen in den
Bundesländern: "AIV" (Arbeitsgemeinschaft Integration
Vorarlberg), "TAFIE" (Tiroler Arbeitskreis für integrative
Erziehung), "Integration: Salzburg", "Verein
Miteinander" (Oberösterreich), "ARGE BIK"
(Arbeitsgemeinschaft Behindertenintegration Kärnten), "ISI"
(Initiative Soziale Integration, Steiermark), "Dachverband der
Niederösterreichischen Elterninitiativen", "Gemeinsam leben -
gemeinsam lernen" (Wien), "BUNGIS" (Behinderte und
Nichtbehinderte gemeinsam in Schulen, Burgenland).
Dachverband ist "Integration: Österreich".
Er ist für Behindertenintegration politisch tätig, betreibt
Öffentlichkeitsarbeit, gibt Informationsmaterial und eine Zeitschrift
"Betrifft: Integration" heraus, die an alle österreichische
Schulen verschickt wird, und veranstaltet bundesweite Treffen,
sogenannte "Mini-Symposien".
4. Sicht nichtbehinderter Kinder und ihrer
Erziehungsberechtigten

Schüler mit SPF In Sonderschulen und in der
Integration im Bundesland Steiermark von 1985 - 1998
Schulische Integration ist seit 1984 in der
Grundschule "auf dem Markt", seit 1988 in der Sekundarschule,
und findet großen Zuspruch, wie sich aus Schulstatistik und den
getroffenen gesetzlichen Konsequenzen schließen läßt. Artikulierte
Vorteile sind das größere Eingehen auf individuelle Bedürfnisse aller
Kinder, das soziale Lernen und die (mindestens) zufriedenstellende
Leistungen. Häufig hängt die Qualität und das resultierende Interesse
für eine integrative Klasse mit den darin arbeitenden Lehrer(inne)n
zusammen. Meist wird von Eltern nichtbehinderter Kinder Solidarität mit
den Anliegen Behinderter geübt, nur vereinzelte Ausnahmen wurden
bekannt.
5. Sicht von Lehrerinnen und Lehrern
Ermittelte Problemfelder sind: Kenntnisse über
verschiedene Behinderungsarten (sonder-pädagogisches Wissen),
Förderdiagnostik und Fördermaßnahmen, Neue Unterrichtsformen und
Teamteaching, Unterrichtsorganisation, Persönlichkeitsspezifische
Fortbildung (Selbst-erfahrung, Gesprächsführung, Supervision).
Also nicht Schulreform war das Anliegen der
Lehrer(innen), sondern Bewältigung ohne Veränderung. Erst die Wünsche
praktizierender Integrationslehrer(innen) zeigten weiteren Bedarf nach
Information über Wesen und der Ziele sozialer Integration,
schülerzentrierten Unterricht, Binnendifferenzierung,
Leistungsbeurteilung.
Teamarbeit zählt zu bedrohlichsten Veränderungen.
An eine Alleinarbeit mit ihren Vor- und Nachteilen ist man gewohnt. In
funktionierenden Integrationsklassen sind beide Lehrer(innen) für alle
Kinder zuständig. Das Gesetz teilt behinderte Schüler dem(r)
Sonderpädagogen(in) zu. Das kann Probleme der Akzeptanz und Integration
bringen, die nicht selten sogar den (die) Sonderschullehrer(in)
einschließen.
Schülerzentrierter, projektorientierter und offener
Unterricht bedeutet besonders anfangs Mehrarbeit für die nötige
Vorbereitung. Die nicht vollständige Planbarkeit und nötige
Flexibilität kann in der Angst resultieren, mit offenen
Unterrichtsformen nicht alles "durchgenommen" zu haben. Auch
Schüler und Eltern, insbesondere der Sekundarstufe, können bei Offenen
Unterrichtsformen eine Phase der Umstellung benötigen.
Ziffernzensuren geben erwünschte umfassendere
Informationen nicht, vergleichen integrationswidrig und sind
erwiesenermaßen unverläßlich. Sie sind aber in Österreich zumindest
bei Übertritt gesetzlich vorgeschrieben und nur Schulversuche zur
direkten Leistungsvorlage, Lernberichte ("verbale
Beurteilung") und Lernzielkatalog ("Pensenbuch") bieten
dzt. einen Ausweg. Über die Ziffernbeurteilung scheiden sich
anscheinend die schulpolitischen Geister, Gesetzesänderungen sind nicht
absehbar. "Dezisionsrituale" werden oft auch in integrativen
Klassen, insb. der Sekundarstufe I, detailliert festgelegt und können
sich gravierend auf die Gestaltung des Unterrichts und fatal auf die
soziale Integration auswirken.
Der Prozeß der Schulentwicklung jedoch ist das
gravierendste Problem für die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer. Immer
wieder Motor und Bittsteller zu sein, darunter leiden vor allem jene,
die diesen Entwicklungsprozeß mit bester Absicht und hohem
persönlichen Einsatz unterstützen. Ihr Engagement bleibt häufig
unbedankt. Pragmatisierte Beamte unter den Kolleg(inn)en brauchen sich
andererseits nicht zu verändern und behindern u.U. eine positive
Entwicklung.
6. Sicht von Schulen
An der Grundschule läßt sich Integration oft in
bereits vorhandene Ideale und Traditionen schülerzentrierten
Unterrichts einbetten.
An Sekundarschulen steht Integration oft im
Widerspruch zum traditionellen Selbstbild, daß Schule einen Lehrstoff
auf qualitativ und quantitativ möglichst hohem Niveau darzubieten und
den Auftrag zu generellen Leistungsforderungen und selektiver
Leistungsbeurteilung habe. Es besteht bezüglich Integration häufig
Ablehnung und/oder unzureichende Information. Die Fortbildung ist
freiwillig, einschlägige Angebote werden erst seit der letzten
Gesetzesnovelle vermehrt wahrgenommen.
Auf Grund des Schülerrückganges besteht Konkurrenz
zwischen den Schultypen der Sekundarstufe, man bemüht sich um ein
Schulprofil. Manche Schulen sehen nun durch die Behindertenintegration
den "Ruf der Schule" gefährdet und in der Tat gibt es auch
Vorurteile in der Bevölkerung. Es gibt eben "gute" und
"schlechte" integrative Klassen, Schulen mit erfolgreichen
Integrationsklassen (mit hoher individueller Leistungsforderung, innerer
Differenzierung) haben jedoch großen Zulauf. Auch in österreichischen
Integrationsklassen entsprechen die Schulleistungen mindestens denen der
Vergleichsklassen, vorausgesetzt der Unterricht ist schülerzentriert.
Die AHS-Unterstufe (Gymnasium) ist von Integration
nicht ausgenommen und gute Gründe (gleiche Didaktik, im urbanen Raum
wichtigste Schulform) sprechen auch dafür. Es besteht nun das Problem,
daß eine Integrationsklasse AHS-reife Schülerinnen und Schüler
zusammen mit solchen mit SPF, meist ohne AHS-Reife, besuchen. Interesse
der Eltern von Kindern ohne AHS-Reife nach dem gleichen Anspruch ist
verständlich und die Aufnahme behinderter Kinder ist obendrein nicht
gesichert. So gibt es dzt. in Österreich nur 10 integrative AHS
Klassen.
Der Schülerrückgang bewirkt Stundenkürzungen und
auch Arbeitslosigkeit für Lehrer(innen). Während man in den ersten
Jahren die Mitarbeit von Sonderpädagogen zur Bedingung machte, besteht
nun schon gelegentlich die Tendenz, Sonderpädagogen durch Regellehrer
der eigenen Schule zu ersetzen.
Von der Klassenzusammensetzung hängt vieles ab. Auf
das nötige Gleichgewicht von guten und schwachen und
"schwierigen" Schülern wird aber nicht immer geachtet, um die
Parallelklassen zu entlasten. Verhaltensauffällige sind
"Knackpunkt" der Integration.
Informationsbedarf besteht ferner oft bezüglich der
Ausstattung an Lehrmitteln und Büchern.
Die Integration der Integrationsklasse in der Schule
ist häufig unzureichend. Sich selbst ins rechte Licht zu rücken,
Öffentlichkeitsarbeit in der Schule zu betreiben, steht aber oft einem
Nivellierungsdruck gegenüber.
7. Sicht der Bezirke und Bezirksschulbehörden
Der Bezirksschulrat ist die Drehscheibe der
Integration. Er "hat ... die Eltern ... über die bestehenden
Fördermöglichkeiten in Sonderschulen und allgemeinen Schulen und den
jeweils zweckmäßigsten Schulbesuch zu beraten" und "Wünschen
die Eltern ... die Aufnahme des Kindes in eine Volksschule ... so hat
der Bezirksschulrat Maßnahmen zur Ermöglichung des Volksschulbesuches
zu ergreifen ...".
Somit ist die erwünschte Freiwilligkeit der
Lehrer(innen) eingeschränkt. Das ist meist nur ein theoretisches
Problem. Aber es braucht eine langfristige Politik der Information und
Weiterbildung im Bezirk, um die Zahl bewußter Integrationsgegner auf
ein schulorganisatorisch bewältigbares Maß zu reduzieren und die
Mehrheit der grundsätzlichen Integrationsbefürworter einzusetzen.
Der Sonderpädagogische Förderbedarf ist gestiegen.
Die Prozentzahl der Schüler mit SPF betrug in Österreich vor der
Integration 2,5% und wurde in einer Vereinbarung zwischen dem
Unterrichts- und Finanzministerium auf 2,7% erhöht. Diese Zahl ist seit
Beginn der Integration österreichweit stark angestiegen, gleiches ist
auch in anderen Staaten zu beobachten. Mit der Definition des
Sonderpädagogischen Förderbedarfs (siehe 2.!) lassen sich aber sehr
legal Grenzfälle ohne Behinderung einschließen. Sowohl zur Sicht von
SPF als systemischer Begriff (siehe Wocken H., Sonderpädagogischer
Förderbedarf als systemischer Begriff. Sonderpädagogik 1/1996,
S.34-38.) und Kontingentierung gibt es in Österreich Bemühungen, wie
auch zur Verfeinerung des selektionsdiagnostischen Ansatzes
(Einschränkung auf Art aus Ausmaß).
Ein Bundesland erhält dzt. für 3,95 Schüler mit
SPF, bzw. für 225 nichtbehinderte Kinder einen Lehrerposten als
Landeskontingent. Der Bezirksschulrat steht vor der Notwendigkeit, den
gewünschten Prozentsatz einzuhalten, eventuell mittels allgemeiner
Sparpolitik oder durch Verknüpfung von SPF und Sonderschullehrplan,
wobei jedoch ein Unterschied zwischen SPF und Lehrplanzuteilung besteht.
Stützlehrerklassen mit einer geringen Zahl von
Zweitlehrerstunden können problematisch sein. Im ländlichen Raum sind
sie jedoch unumgänglich. Ihr Vorteil ist die Wohnortnähe, aber u.U.
bedeuten sie weniger Förderung.
Die Vorbereitung auf integrative Klassen und eine
Teamfindung wäre notwendig und ist selten möglich. Zu Schulbeginn gibt
es teilweise auf ihre neue Aufgaben und Partner unvorbereitete Lehrer.
8. Sicht der Bundesländer und Landesschulbehörden
Es gibt Unterschiede bezüglich des Ausmaßes
schulischer Integration in den einzelnen Bundesländern. Der
Landeshauptmann (und sein amtsführender Präsident des LSR), die
Landesregierung und der Landesschulrat (in Österreich die
Schulaufsichtsbehörde 2. Instanz, eine Bundesbehörde) initiieren im
Rahmen der Bundesgesetze die Schulpolitik eines Bundeslandes. Dabei
spielen auch lokale Bedingungen und Interessensgruppen eine Rolle.
Die Erhebungen des Statistischen Zentralamts lassen
diesbezüglich nur Schlüsse zu. Die Zahl der Schüler mit SPF lag
1995/96 in Österreich bei etwa 3,18% (zwischen 2,46% und 4,91%).
Davon wurden in den einzelnen Bundesländern
prozentual folgende Schüler mit SPF in Regelschulen (integrativ) und in
Sonderschulen beschult:
Die Landesschulbehörde legt bestimmte Sonderschulen
als Sonderpädagogische Zentren (SPZ) fest. Man unterscheidet regionale
und überregionale SPZ, letztere für die Belange von körper- und
sinnesbehinderten, sowie verhaltensgestörten Schülern. Bei der
Konstruktion des SPZ liegt ein Interessenskonflikt vor: einerseits ist
es eine Sonderschule und andererseits soll es Integration in die
Regelschule fördern. Eine Ausweitung schulischer Integration bedeutet
die Verringerung der Schülerzahlen in Sonderschulen. Nähere
gesetzliche Bestimmungen über die Arbeit eines SPZ, wie Beratung,
Diagnostik (Gutachten), Intervention und Fortbildung, liegen nicht vor.
Manche Sonderschulen haben nach dem Etikettenwechsel und dem beratenden
Einfluß im Schulbezirk ihre Schülerzahlen erhöht. Es fehlt derzeit
auch die rechtliche Konstruktion eines SPZ, das keine Klassen mehr hat.
In einigen Bundesländern besteht ferner ein Mangel
an ausgebildeten Sonderpädagog(inn)en.
9. Sicht des Bundes und des Unterrichtsministeriums
Bei der schulischen Integration handelt es sich um
eine Basisinitiative, die Schulbehörde ist systemimmanent bestimmt zu
reagieren statt zu agieren. Grundsätzlich tritt Bedarf auf, der bis zum
Notstand gehen kann, dann folgen Maßnahmen.
Integrationsberatungsstellen gibt es nur in 2 von den
9 Bundesländern, in Wien und Steiermark.
Die Wissenschaftliche Begleitung, dzt. mit der
Sekundarstufe II befaßt, ist alljährlich von Auflösung bedroht. Es
besteht jedoch Bedarf, in einem handlungsorientierter Ansatz
Beratungsfunktionen zu erfüllen.
Die Pädagogischen Institute sind für Fortbildung
zuständig und veranstalten mit einem eigens aufgestockten Budget
Arbeitsgemeinschaften, schulinterne Fortbildungen und entfalten, je nach
Schulpolitik des Bundeslandes bzw. damit zusammenhängender Resonanz
unter den Lehrerinnen und Lehrern wirkungsvolle Maßnahmen.
An hilfreicher Fachliteratur hat Österreich einen
Beitrag geleistet. Das Unterrichtsministerium hat Broschüren, einen
Medienkatalog und eine Zeitschrift herausgegeben. Das Handbuch zur
Lehrerfortbildung "Besonderer Förderbedarf in der Klasse"
(sog. UNESCO Resource Pack), das sich sehr gut zum Selbststudium und
für schulinterne Fortbildungsveranstaltungen eignet, wurde, vom
Unterrichtsministerium finanziert, für den deutschsprachigen Raum
übersetzt und durch steirische Integrationslehrerinnen bearbeitet. I:Ö
als Herausgeber, ZIB als Verfasser und das BMUK als Hersteller haben
"Materialien zur sozialintegrativen Schule" veröffentlicht.
Die Förderung von Integration und Sonderschule ist
das erklärte Ziel österreichischer Schulpolitik. Das wirkt sich nicht
zuletzt auf die Kosten aus, eine Wanderung von Schülern aus
Sonderschulen in Regelschulen bedeutet erfahrungsgemäß nicht eine
ebenso umfangreiche Wanderung der Ressourcen. Allein für die
Finanzierung der Integration auf der Sekundarstufe I wurden in
Österreich für 250 Millionen Schilling ca. 500 Dienstposten
zusätzlich geschaffen.
Österreichische Schulpolitik scheint auch das
Erhalten traditioneller Sonderpädagogik zu sein. Es gibt einen Sonderpädagogischen
Förderbedarf und nicht special needs oder special educational
needs. (Das Maß der Ressourcen wird vom Defekt des Kindes
abgeleitet und nicht von dem nötigen Arbeitsaufwand.
Verhaltensauffällige Schüler sind beispielsweise nicht
ressourcenberechtigt.) Sonderpädagogische Zentren sind
geschaffen worden und nicht Förderzentren an Regelschulen. (Eine
Schulart ist für die Veränderung in einer anderen Schulart
zuständig.)
Pädagogische Akademien sind für die Lehrerbildung
zuständig, aber zur Ausbildung in schulischer Integration nicht
verpflichtet. Sie kann im Rahmen der internen Autonomie erfolgen. Ein
Lehrplan für Integrationspädagogik, die als Fach in die Ausbildung
aller Studienrichtungen aufgenommen werden sollte, wurde vom BMUK
zurückgestellt. Das ist ein gravierender Mangel. Dzt. herrscht große
Nachfrage nach kombinierten Ausbildungen.
In der Sekundarstufe II gibt dzt. es nur vereinzelte
Schulversuche, z.B. an der Fachschule für wirtschaftliche Berufe, an
der Berufsschule. Es ist sehr schwierig für Eltern, Nischen der
Berufsvorbereitung zu finden. Eine Verlängerung der Schuldauer ist dzt.
nur im Rahmen einer Sonderschule statthaft. Modelle wie
Arbeitsassistenz, Arbeitsenklave, Mentor im Betrieb, Geschützter
Arbeitsplatz (bzw. Begünstigter Behinderter) werden nur von
Behindertenverbänden und Integrationsinitiativen erarbeitet und
erprobt. Sie machen die Kooperation von Schule und Projekten der
Arbeitsmarktverwaltung nötig.
Der österreichische Gewerkschaftsbund hat kein
bildungspolitisches Interesse an schulischer Integration und beschränkt
sich auf Verhandlungen über eine Abgeltung der Mehrbelastung und
Abschlagstunden (Verminderung der Lehrverpflichtung mit Korrigieren,
Administration u.a. als Begründung).
10. International
Mit diesen Gesetzen wurde in Österreich eine
Schulreform eingeleitet, bei der es um das Eingehen auf den besonderen
Förderbedarf aller Schüler geht. Es geht gar nicht so sehr um die
behinderten Kinder. Es geht darum, daß eine Pädagogik für behinderte
und nichtbehinderte Kinder in vielem ident ist mit Konzepten für
Begabtenförderung, für den Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern,
mit Maßnahmen gegen Schulaussteiger und andere Plagen der westlichen
Welt.
Andere Länder, wie Italien, Skandinavien, USA, sind
uns diesbezüglich um Jahrzehnte voraus.
Die EG-Kommission hat 1987 Integration befürwortet
und in einem "Europäischen Kooperationsprogramm für die
schulische Eingliederung behinderter Kinder" Maßnahmen gefordert.
Österreich, das sich in allen Bereichen die Kriterien der Europäischen
Union zu erfüllen bemüht, hat auch bei der Begutachtung jedes Absatzes
der letzten Schulgesetzesnovelle penibel darauf geachtet.
Die UNESCO Weltkonferenz 1994 in Salamanca
formulierte als Empfehlung an die Regierungen der Welt eine Pädagogik
für besondere Bedürfnisse aller Schulkinder. Die
Gesundheitsorganisation der Vereinten Nationen, WHO, startete eine
Initiative "Kinderfreundliche Schulen", der dieselben
Prinzipien zugrunde liegen, nämlich die konstruktive Anerkennung der
Heterogenität einer Schülergruppe.
11. Ausblick
Bei uns war es Kaiserin Maria Theresia, die vor über
200 Jahren die allgemeine Schulpflicht eingeführt hat und damit auch
die Aufgabe der Schule zu Selektion. Was damals aus den Wäldern und
Auen geholt wurde, wurde für die Zwecke des Staates generell tauglich
zu machen versucht und durch einen Rost geschüttelt, um Bauern,
Soldaten oder sogar Beamte herauszufinden.
Es ist kurios, bis in welche Details sich diese Tat
bis heute erhalten hat, z.B. in dem senkrechten Strichlein für eine
Absenz (|) und dem Punkt daneben (|.) bei Zuspätkommen. Aber vor allem
ist die Essenz erhalten geblieben.

Dieses Bild des Österreichers Ferdinand Waldmüller
hat den Titel "Begegnung im Walde". Es zeigt die Schönheit
der Landschaft, die Freundlichkeit der Bevölkerung. Wie harmonisch
fügen sich die Behinderten in diese Idylle. Ich meine
selbstverständlich die Bäume, sie sind ohne Zweifel behindert.

Die Wuchsfehler des Baumes lassen sich unterteilen in
Krummschaftigkeit, Gabelwuchs, Drehwuchs, Überwachsungen von
Wundstellen, exzentrischen Wuchs und Luftrisse. "Hölzer mit
solchen Schadensmerkmalen sind im Möbelbau und in der Schule nur
bedingt einsetzbar", heißt es in einer Schrift für
Werkunterricht, "da sie bei der Bearbeitung einen hohen
Verschnitt bedeuten, ungleiche Härte und damit erhebliche
Bearbeitsungsschwierigkeiten mit sich bringen und eine geringe
Formstabilität aufweisen."
Wie in der Holzindustrie geht es bis heute nicht
darum, ein Kind gemäß seinen Voraussetzungen zu fördern, den
individuellen Förderbedarf eines Kindes, sei es behindert oder begabt,
zu erfüllen. Es geht um Selektion. Es geht darum, einen Lehrplaninhalt
an ein Kind heranzutragen und dann zu benoten, wie es darauf reagiert.
Im negativen Fall möge es Nachhilfeunterricht nehmen oder die Schulart
wechseln. Die Schule will weniger beim Lernen helfen, als lehren und
beurteilen. Das wird zunehmend für alle Kinder fragwürdig, ist aber
ganz tief verwurzelt.
Österreich hat sich auf einen Weg gemacht. Euphorie
ist nicht angebracht. Zu den derzeitigen Hindernissen zählt