Sozialpädagogik
Home Grundlagen Projekt Bildung / Vorträge Sondermutter Verein Kontakt Links

 

Tagung "Wie kann die Integration behinderter Personen gefördert werden?", Münsingen (Schweiz), 1998

Veränderungen in der Sonderpädagogik und ihre Rolle in der schulischen Integration

Volker Rutte

1. Was lernt ein Sonderschullehrer?

Die klassische Heil- und Sonderpädagogik orientiert sich an einem medizinischen Modell. Für den Fall eines geistigbehinderten Schülers können beispielsweise folgende Bereiche untersucht werden: Definition (Lernverhalten unter Lebensalter, nach IQ, Beeinträchtigungen ...), Formen, Erscheinungsbild (Wahrnehmungsschwächen, SEV, Koordinationsstörungen ...), Ursachen, Bedingungen (chromosomal, Stoffwechselstörung, Infektionen, hereditär ...), Häufigkeit (0,6% im Vorschulalter, 1,8% im Schulalter, 0,6% im Alter von 16 - 21, 1,2% im Alter von 22 - 27), Lernverhalten, Leistungsverhalten (geringe Abstraktionsfähigkeit, Transfertrainingsbedarf, anschauend-vollziehendes Lernen ...), Sprachverhalten (Sprachentwicklungsverzögerung), Sozialverhalten (frühkindlich, häufig Gehemmtheit/Hemmungslosigkeit, gelegentlich erethisch/torpide ...), Motorisches Verhalten (kleinkindliche Bewegungsabläufe, Haltungsmängel, mangelnde Koordination ...), Pädagogische Aufgaben, Methoden (Lebenspraktisches Training, Wahrnehmungstraining, Sprachtherapie ...), Medizinische Aufgaben (Diagnostik, Diagnostik zusätzlicher Schäden, medikamentöse Maßnahmen ...), Psychologische Aufgaben, Soziale Aufgaben ...

Diese Bereiche werden isoliert betrachtet und pädagogisch werden Konsequenzen gezogen (Individualisierung, Konkretisierung, persönlicher Bezug, kleinste Lernschritte, Lernstörungen erkennen, Sprachentwicklungsförderung als Unterrichtsprinzip ...).

 

2. Welche Sonderschulen gibt es?

Gemäß diesem medizinischen Modell und dem Streben nach Homogenität der Schülergruppe wurden behinderungsspezifische Sonderschulformen in Österreich geschaffen:

Allgemeine Sonderschule (ASO): Lernbehinderte, Leistungsschwache, "Schwachbefähigte". Ehemals "Hilfsschule". Eigener Lehrplan. Aufnahmeverfahren. "Erziehung" vor "Wissensvermittlung". Individualisierender Unterricht. Berufsvorbereitung in der Oberstufe. Höchstschülerzahl: 15. Problematik: Mehrstufigkeit.

Sonderschule für körperbehinderte Kinder: Alle Lehrplänes. Höchstschülerzahl: 15. Problematik: Kooperation mit Therapeuten, Schwerst-Mehrfachbehinderte.

Sonderschule für sprachgestörte Kinder und Sprachheilkurse an VS. Höchstschülerzahl: 15. LRS-Kurse. Problematik: Psychogene Sprachstörungen (Stottern, Mutismus ...), kein therapie-immanenter Unterricht, mangelnde sprachliche Vorbilder.

Sonderschule für hörbehinderte Kinder: Gehörlose ("Taubstumme") und Schwerhörige. Hörgeräte, Gebärden, Behinderung als Subkultur. Eigener Lehrplan für Gehörlose. Etwa 2 Dutzend taubblinder Kinder in Österreich. Höchstschülerzahl: 8 - 10.

Sonderschule für sehgeschädigte Kinder: Blinde und Sehbehinderte. Eigener Lehrplan für Blinde. Höchstschülerzahl: 8 - 10.

Sondererziehungsschule: Ambulante Beratungslehrer (Wien auch "Psychagogen"). Höchstschülerzahl: 15. Problematik: Konzentration Verhaltensgestörter.

Sonderschule für schwerstbehinderte (geistigbehinderte) Kinder: Eigener Lehrplan, 4 Klassen (je 2 Jahre) und 1 Abschlußklasse (Werkkurs). Höchstschülerzahl: 8. Problematik: In den letzten Jahren Verringerung der Zahl "Schulunfähiger".

Heilstättenschule: "Spitalsklassen".

Ferner gibt es an Volksschulen oder Hauptschulen angeschlossene Sonderklassen.

 

3. Was soll falsch sein an der Sonderschule?

Die Sonderschule hatte große Verdienste in ihrer Gründerzeit. Ende des 19. Jh. gab es hohe Klassenfrequenzen, schlechte materielle und personelle Ausstattung, militärische Traditionen & Drill. Eine individuelle Förderung war nicht möglich. Mit speziell ausgebildeten Lehrern und verringerten Anforderungen wollte man in eigenen Schulen fördern. Mehr behinderte Kinder kamen nun in die Schule.

Es herrschte Optimismus, durch erzieherische Maßnahmen heilen zu können und das Prestige der Medizin wurde genützt. Gegenüber der Regelschule begann man sich abzugrenzen. 1864 schrieb Stötzner, H.E., Schulen für schwachbefähigte Kinder - Erster Versuch zur Begründung derselben, die Volksschule habe andere Aufgaben, als sich "mit den Schwachen und Stumpfsinnigen herumzumühen", müsse von Ballast befreit werden. 1926 forderte die Zeitschrift "Hilfsschule": "Nennen wir Hilfsschullehrer ... uns getrost Schwachsinnigenlehrer und niemand wird mehr Ursache haben, uns gering zu achten." Auf dem Verbandstag der Hilfsschullehrer 1926 wurde festgestellt: "Die Hilfsschule muß den Charakter der Normalschule abstreifen und einen spezifisch heilpädagogischen Charakter annehmen." (Speck 1973, 350)

Früh gab es aber auch Gegner von Sonderschulen, wie Witte, J.H., Die mehrfach bedenkliche Einrichtung von Hilfsschulen als Schulen nur für schwachbegabte Kinder (Thorn 1901). Die vorgebrachten Argumente sind (lt. H. Eberwein) nach wie vor aktuell.

Die heutige Sonderschulkritik:

bulletDie Heilpädagogik hat die Hoffungen nicht oder zu wenig erfüllt
bulletDas Konzept der homogenen Gruppe ist imaginär und auch nachteilig
bulletEin Sonderschullehrplan garantiert Leistungsverminderung
bulletDie Förderung Behinderter in Regelschulen ist mit zusätzlichen Maßnahmen gleich bis besser
bulletDas Schonraumklima hört nach der Schule unvorbereitet auf
bulletEltern und Behinderte lehnen Sonderschule und Sonderschulzeugnis meist ab
bulletSegregation - Angst (Unsicherheit) - Segregation ist ein Teufelskreis, der vor allem in der Schule durchbrochen werden kann

Auch zur Eigenständigkeit der Sonderpädagogik als Disziplin gibt es Kritik. Charakteristischerweise sieht der österreichische Lehrplan der Pädagogischen Akademien aus Sonderschuldidaktik vor: "Der sachstrukturelle Aufbau der didaktischen Fächer ... entspricht teilweise der Grundschuldidaktik. Die konkrete Ausgestaltung hat jedoch unter Berücksichtigung der umschriebenen Bildungs- und Lehraufgaben zu erfolgen." Auf die häufig gestellte Forderung, nur getrennt fördern zu können, gibt es meist die erfolgreiche Gegenfrage: Was, konkret, sind diese Maßnahmen, die nur getrennt durchgeführt werden können?

Ein unpädagogischer Kritikpunkt sind die hohen Kosten der Sonderschule. In den USA gab es schon in den 30-er Jahren Untersuchungen, um die billigste Beschulung zu finden. Weltweite Vergleiche liegen heute vor. Integration ist danach zwischen 2 und 4 x teurer als Regelschule, Sonderschulen zwischen 4 und 15 mal.

 

4. Welche Umstellungsschwierigkeiten hat die Sonderschule?

Während noch in den 80er Jahren der österreichische "Behindertenpapst" Prim. Andreas Rett feststellte, "Integration ist zum Schaden der Schwerstbehinderten", wird heute, nicht einmal zähneknirschend, Wert und Vorrang der Integration unter Wahrung des Gesichtes anerkannt. Prototyp sei ein Aufsatz von Direktor Schwarzmann (in: Christlich pädagogische Blätter 1/95). Der Wert der Integration wird darin anerkannt, dann erfolgt ein Rückblick mit mißvergnügten Etikettierungen: Die Integration sei politisiert worden, sie beruhe auf der Profilierungssucht einzelner, die ersten Schulversuche seien "wilde" gewesen und "totale Integration" sei überhaupt abzulehnen. Resumee: Die Sonderschule sei fachlich positiv und sozial negativ, jedoch verbleibe die Frage: "Ist das Know-how dieser hochspezialisierten Didaktik ... übertragbar?"

Zum gegenwärtigen Berufsbild der Sonderschullehrer(innen) gehört oft jahrelang interessante Arbeit, aber auch Burn-out und Helfersyndrom (Depression).

 

5. Wozu gibt es das Sonderpädagogische Zentrum?

SPZs gibt es erst seit der Integration. Es sind Sonderschulen, die die Aufgabe haben in anderen Schularten zur Integration beizutragen. Ihre konreketen Aufgaben sind vom Gesetz nicht näher beschrieben, können also nicht eingefordert werden. Auch gibt es ein systemisches Problem, wenn eine Schulart einer anderen helfen soll. Schließlich ist die Trennung von Sonderschule und SPZ ist schwierig, insbesondere wenn es um Schüler geht. SPZs wurden vermutlich auch geschaffen, um die Sonderschule zu retten.

Ihre Bedeutung liegt in der Begleitung und Vorbereitung der Integration. Vor allem braucht es ein Eingehen auf inhaltliche Fragen, auf effektive Pädagogik, Hilfe bei den individuellen Entscheidungen. Die Aufgaben sind praktisch: Diagnosen, Hilfestellungen, Fortbildung.

Ein legistisches Problem entsteht dzt. noch, wenn alle Eltern von Kindern mit SPF in einem Schulbezirk Integration wünschen und eine Sonderschule ohne Schüler damit ihren Status verliert.

 

6. Wie soll ein(e) Sonderschullehrer(in) in integrativen Klassen arbeiten (dürfen)?

Laut österreichischem Schulgesetz ist der Sonderpädagoge schulorganisatorisch für SPF-Kinder zuständig und ein Kompetenztransfer hat stattzufinden. Die Erfahrung erfolgreicher Integrationsklassen ist es jedoch, daß beide Lehrer für alle Kinder zuständig sein müssen. Das braucht Koordination. Der Kompetenztransfer wird praktisch erreicht, indem der Fachlehrer die Differenzierungsmaßnahmen plant und der Sonderschullehrer sonderpädagogische Methoden und Lehrmittel beisteuert und die Möglichkeiten der Kinder mit SPF abschätzt. Entscheidend für Teamteaching ist also eine gemeinsame Vorbereitung.

Additive Förderung ist häufig die Konsequenz mangelnder gemeinsamer Vorbereitung, gelegentlich auch von Problemen mit dem Teamteaching. Förderunterricht ist aber zu wenig für behinderte Kinder. Insbesondere die Stützlehrerrolle mit nur wenigen Stunden beschränkt sich leider oft auf Förderstunden, bzw. Nachhilfestunden.

Sonderschullehrer haben Stärken und Schwächen. Sonderschullehrer können sicher und erfahren sein, sowie das Augenmerk auf das Individuum statt die ganze Klasse legen. Aber eine Phantasie vom Wunderheiler muß enttäuscht werden. Er (sie) braucht Zeit und Dialog mit dem Kind. Obwohl der Dank der Regelschule jederzeit gewiß wäre (Hut ab! Ich könnte das nicht tun!"), schafft man es oft nicht, die von der Regelschule mental ausgesonderten Kinder effektiv zu betreuen (insb. Verhaltensgestörte).

Zur Sonderschullehrer-Ausbildung muß man wissen, daß eine eigenständige, spezielle Pädagogik nicht entwickelt worden ist, auch sind Methoden der Diagnose und Therapie oft unbefriedigend. Letztlich zählt eine normale Beziehung zum Behinderten und das Einlassen auf einen Prozeß mit nicht gänzlich absehbarem Ausgang.

 

7. Sonderpädagogik up to date

Sonderpädagogik ist eine sehr interessante Disziplin mit umfangreicher Literatur. Beim Lesen alter sonderpädagogischer Zeitschriften spürt man die Begeisterung und Berührtheit. Heilpädagogische Kongresse geben davon ein aktuelles Bild. Die Defektorientiertheit dient aber auch als Schutzmechanismus und distanzierende Systematik schafft Freuden. Die klassische Heilpädagogik darf nicht vergessen, muß aber auf ihre Effektivität und ihren Anspruch sorgfältig hinterfragt werden.

Auf wissenschaftstheoretischer Ebene erfolgt seit etwa 30 Jahren eine Diskussion über Paradigma und Paradigmenwechsel. Ein einflußreiches Buch war: Thomas Kuhn "Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" (deutsch bei Suhrkamp, The Structure of Scientific Revolutions. Chicago 1962, 2. Aufl. 1970.) Den Paradigmenwechsel moderner Sonderpädagogik beschreibt Thomas M. Skrtic (University of Kansas) / Behind Special Education. Für den deutschen Sprachraum sind insbesondere die Arbeiten von Hans Eberwein, Berlin, relevant (Zur Kritik des Behinderungsbegriffs und des sonderpädagogischen Paradigmas. in: Eberwein, H. (Hg.), Einführung in die Integrationspädagogik. Weinheim 1996).

Die praktischen Auswirkungen des Paradigmenwechsels seien an folg 3 Prinzipien erläutert:

 

8. Das Normalisierungsprinzip

Das Normalisierungsprinzip wurde in Skandinavien in den frühen 60er Jahren insb. aus der Sicht der geistigbehinderten Menschen entwickelt. Eine damit verwandte Strategie in den USA ist die "least restrictive alternative" - die am wenigsten einschränkende Alternative.

Bengt Nirje (ehemals Direktor der Abteilung für die Förderung von Diensten für die Geistigbehinderten in Uppsala) sieht Behinderung 3-fach:

  1. Geistige Behinderung des Individuums: Kognitive Behinderung, geringes Anpassungsvermögen, Lernschwierigkeiten ...
  2. Aufgepfropfte und erworbene geistige Behinderung: Verhaltensstörungen infolge der Lebensbedingungen oder unbefriedigende Einstellung von Eltern, Personal oder Mitmenschen, durch trostlose Anstalten, keine Lernmöglichkeiten, Erlebnismangel, fehlende Kontaktmöglichkeiten, Unterforderung ...)
  3. Bewußtsein, behindert zu sein: Abkapseln, Selbstbemitleiden, Zorn ...

"Normalisierung" bedeutet, daß dem geistig Behinderten die Formen und Bedingungen des täglichen Lebens zugänglich gemacht werden in einer Form, die so eng wie möglich an die Normen und Verhaltensweisen des Hauptteils der Bevölkerung angepaßt sind. (Nirje 1969)

Normalisierung bedeutet nach Nirje konkret:

bulletNormaler Tagesablauf: Normal aufstehen, essen (gelegentlich auch außerhalb der Essenszeiten), sich anziehen, Atmosphäre der Ruhe, Gemeinschaft, weder früher Schlafengehen, Möglichkeiten zum Alleinsein, ebenso wie Beschäftigung, Geselligkeit, geteilte Verantwortung.
bulletWochenablauf: Wohnstätte zum Leben, Schule oder regelmäßige Beschäftigung, Freizeit mit Mindestmaß an zwischenmenschlichen Beziehungen.
bulletJahresablauf: In verschiedenen Jahreszeiten sich ändernde Bräuche, Lebensgewohnheiten, Familientraditionen, Kulturtraditionen.
bulletLebenszyklus: Geborgene Kindheit mit den Entwicklungsstufen, Schulalter mit Entdeckung der Umwelt und Entwicklung von Fertigkeiten und Erfahrungen, Jugend die auf Erwachsenenleben vorbereitet, Erwachsenenleben mit Hausverlassen, größere Unabhängigkeit.
bulletNormales Verständnis und Berücksichtigung der stillen Wünsche, normaler Respekt, normale (gesellschaftsübliche) Geschlechtlichkeit, normaler Lebensstandard, normale Umweltbedingungen, Wohnstätte normaler Größe in normaler Wohnlage.

Entsprechende Forderung für integrative Klassen wären z.B. keine grundsätzlich behinderungsspezifischen Maßnahmen, sondern "so normal wie möglich", nicht grundsätzlich eine eigene Stundentafel für geistigbehinderte Kinder, sondern, die Stundentafel der Regelschule mit eventuell nötigen Ausnahmen.

 

9. Das Finalprinzip

Nicht jemand ist behindert, weil er eine Querschnittlähmung, einen Hörschaden hat, sondern behindert ist, wer soziale Hilfen zum Abbau der Benachteiligung braucht. Nicht der ursächliche Defekt steht im Vordergrund, sondern das Ziel der Rehabilitation. Das ist eine Abkehr vom Kausalitätsprinzip der Behinderung.

Die Abbildung zeigt den Briefkopf einer Behinderten-Organisation. Die Gesellschaft erschwert behinderten Menschen das Leben durch differenzierte Arbeitsprozesse, bauliche Barrieren, Stigmatisierung - durch sekundäre Behinderungen.

Fundamentale Kritik wurde an der Dienstleistungsökonomie geübt. Institutionalisierte Hilfssysteme schaffen durch Eigendynamik neue Bedarfslagen, sind kontraproduktiv. Jürgen Habermas (Theorie des kommunikativen Handelns, 1981) spricht von einer "Kolonialisierung des Lebenswelten durch Systemimperative". Ein System bestehe aus formal organisierten Handlungsbereichen, in denen rational-funktionales Handeln dominiert. Die Kritik erfolgte durch Betroffene und professionelle Helfer, die Bewegung der De-Institutionalisierung war die Folge.

Das "Independent Living Movement" wurde geschaffen gegen die Abhängigkeit und Kontrolle durch Fachleute, für einen autonomen Konsum von Hilfsleistungen. Der behinderte Mensch sieht sich als gleichberechtigter Kommunikationspartner, nicht als Objekt des Hilfssystems. Das Selbstbestimmt-Leben-Zentrum in Berkeley, gegründet von Ed Roberts, ehemals erster schwerbehinderter Student an der Uni Berkeley, Kalifornien, war der Ausgangspunkt. Heute gibt es ein Europäisches Netzwerk zum selbstbestimmten Leben Behinderter (ENIL) und darin nationale Sektionen.

Auch die "People First" Bewegung, gegründet 1960 in Kanada, will den Menschen in den Mittelpunkt rücken und das Selbstwertgefühl stärken. "Empowerment" ist die Voraussetzung dafür.

Verschiedene Formen von Planungssitzungen (life-style planning, personal future planning) wollen gemeinsam mit dem behinderten Menschen eine wünschenswerte Zukunft für den Betroffenen beschreiben, einen Plan mit den notwendigen Aktivitäten und Unterstützungen erstellen und die nötige Verantwortung den Beteiligten zuweisen. Für die schulische Integration hat sich MAPS (McGill Action Planning System) als Verfahren zum gemeinsamen Lösen von Problemen bewährt.

Beim "Peer Counseling" geht es darum, dem anderen zu helfen, selbständig Lösungen zu finden. Das wird erleichtert, wenn der Partner selbst behindert ist. Ratschläge oder gar Dressur werden abgelehnt, durch Zuhören und Erfahrungsaustausch sucht man Lösungen. Entwickelt wurde dies aus Rogers Klientenzentrierter Gesprächstherapie und Studentenberatern an US Hochschulen.

Forderung für integrative Klassen: Den Maßnahmen nicht grundsätzlich Expertenmeinungen zugrunde legen, sondern, wie auch bei nichtbehinderten Schülern, Entscheidungen den Erziehungsberechtigten behinderter Kinder ermöglichen. Behinderte Kinder besonders zu Selbständigkeit und dazu nötigen Kommunikationsformen erziehen.

 

10. Das Ganzheitsprinzip

Der ganze Mensch statt des Defekts steht im Mittelpunkt. Es geht nicht um Therapie des geschädigten Organs und seiner Funktion, sondern des psychisch und physisch geschädigten Menschen.

Die Vorgangsweise aus der Medizin, Diagnose – Therapie, führt zu einem gegliederten Therapieplan. Das Kind wird als reparaturbedürftiger Organismus aufgeteilt für die Reparatur, Förderunterricht, Sprachtherapie, Hippotherapie, Wassertherapie, Eßtherapie, Frostigtherapie usw. werden angesetzt. Die Segmentierung lädt zu zusammenhanglosem Behandeln ein. An Sonderschulen für Mehrfachbehinderte ist der Tagesablauf durch Therapien bestimmt.

bulletDie Kinder basteln nicht, sondern haben "Beschäftigungstherapie"
bulletsie sind in einer Gruppe, in der kein Kind richtig sprechen kann, aber sie haben "Sprachtherapie"
bulletAlle Kinder müssen gefüttert werden, das nennt sich "Eßtherapie".

Mein Sohn weiß, daß der Löffel zum Mund gehört. Diese Bewegung fällt ihm aber leichter, wenn er in Gesellschaft gesunder Kinder ißt.

(Helma Katzarovski, Mein Sohn Gabriel. in: Odilien-Institut im Blickpunt, Sept. 1997)

Die gezielte Arbeit an dem Defekt wird für Kinder meist fade und weckt sogar Widerstand. Es ist nur von Vorteil, von den Stärken des behinderten Kindes auszugehen (siehe Eggerts Buch zur Förderdiagnostik "Von den Stärken ausgehen") und die Arbeit möglichst in den Gesamtunterricht und in natürliche Situationen einzubauen. Der Erfolg der schulischen Integration liegt auch am ganzheitlichen Erziehungseinfluß durch die Mitschüler und am notwendigen handlungsorientiertem, ganzheitlichen Unterricht.

Jantzen weist schließlich auf geringen oder fehlenden Transfer isoliert erlernter Fertigkeiten hin. "Therapie in Sondersituation ist für Sondersituation".

Forderung für integrative Klassen: Ein hohes Maß an Gesamtunterricht und kooperativen Lernens, beispielsweise nicht Übungsstunden für Soziales Lernen, sondern ständige Kooperation der Schüler und aktuelle Reflexionsrunden.

 

 

Volker Rutte
Zentrum für integrative Betreuung
Beratungsstelle des Landesschulrates für Steiermark
Klusemannstraße 21, 8053 Graz
Tel. 0316-261782-12, Fax. 0316-261050
mailto:volker.rutte@lsr-stmk.gv.at

 

Ó Opentrend GmbH 2001